Der Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist ein Zitat aus Eric Raymond's Homesteading the Noosphere, wo es heißt: "it is quite clear that the society of open-source hackers is in fact a gift culture." 1 Diese gift culture soll neben einer command hierarchy und der exchange economy sozusagen als dritter Weg gelten. Ich möchte mich nicht näher mit Raymonds Thesen auseinandersetzen, sondern sie tatsächlich nur als Stichworte benutzen, um zu zeigen, wie diese drei Elemente zusammenspielen.
Es geht also nicht um den einzelnen, gelegentlich ausgeübten Akt des Schenkens von irgendeinem Ding, das zuvor womöglich gekauft werden musste. Vielmehr geht es um den Versuch, eine Alternative zur Tauschgesellschaft zu denken, eine Alternative, die nicht ausschließend sein muß, d.h. kein übergreifendes Gesellschaftsmodell entwickelt, das etwa auf der Gabe beruhen sollte. Vielmehr geht es um eine Limitierung der Tauschsphäre. Man kann leicht plausibel machen, warum es nicht in allen sozialen Verhältnissen günstig ist, dem Tauschmodell zu folgen. Gelegentlich erscheint uns etwa das bloße Geschenk als durchaus sinnvoll, wenn es z.B. darum geht, jemanden aus einer Notlage zu helfen. Gerade der nun in Verruf geratene Sozialstaat hat seinen Bürgern Leistungen angeboten, die sie nicht kaufen mußten. Es ist absurd anzunehmen, wie es neoliberale Ideologen gerne tun, dass dies geradewegs in den planwirtschaftlichen Terror führt.
Manchmal kann es ökonomisch sinnvoller sein, bestimmte Leistungen aus der Sphäre des Tausches herauszunehmen. Eine klassische Arbeit in diese Richtung stellt The Gift Relationship von Richard Titmuss dar. In diesem 1971 veröffentlichten Buch vergleicht Titmuss das britische mit dem US-amerikanischen System des Blutspendens. Während das britische System auf freiwilliger, kostenloser Blutspende beruht, gibt oder gab es in den USA eine Bezahlung für das gespendete Blut. Dieses System erwies sich als teurer, weil es aufwendige Prüfungen des gespendeten Blutes notwendig machte, da die Einkommensquelle die Spender ihre mögliche ungünstige Blutqualität verschwiegen ließ, während diese Motivation für die britischen Blutspender naturgemäß entfiel und man daher eher davon ausgehen konnte, dass sie die entsprechenden Fragen wahrheitsgetreu beantworteten. Aber Titmuss, der seit 1950 an der London School of Economics eine Professur für Social Administration innehatte, begnügte sich nicht damit, er zog weitergehende Folgerungen für eine Theorie des sozialen Wohlfahrtsstaates. Damit entsprach er ganz der politischen Programmatik von Marcel Mauss, der 1925 seinen berühmt gewordenen Essai sur le don (dt. Die Gabe) publizierte. Auch Mauss, Enkel des Soziologen Emile Durkheim, begnügte sich nicht damit, ethnologisches und historisches Material zum "Gabentausch" zusammenzustellen, er versuchte eine sozialpolitische Erweiterung der Tauschökonomie um Elemente einer Generosität, die nicht einfach in die ambivalente Tugend des Almosengebens zurückfiel. 2
In dieser Tradition möchte ich nun das Konzept der Gabe aufgreifen, allerdings mit einem kleinen Seitenblick, der auch Richard Titmuss vergönnt ist. Seine Tochter sagte 2003, anlässlich ihrer Begrüßungsrede zur Konferenz "Richard Titmuss: The Legacy", dass er am Highgate Friedhof begraben liege, "Here Titmuss is remembered within sight of Karl Marx, an arrangement of which I'm sure he would have approved." Marcel Mauss starb übrigens 1950, in dem Jahr, wo Titmuss seine Professur an der LSE antrat, um Sozialarbeiterinnen auszubilden. Er galt dort als einer der wenigen "Radikalen", der für die Labour-Party programmatisch tätig wurde. Sein Text The Gift Relationship wurde von Ökonomen aufgegriffen, während das Werk von Marcel Mauss breiter rezipiert wurde: von Ethnologen und Anthropologen, wie von Philosophen, Historikern, u.a. In dieser Rezeption zeigte sich nun, dass der "Gabentausch", um dieses Kunstwort widersprüchlichen Charakters zu verwenden, sehr viel mehr verbreitet ist, als die Ideologen der Tauschgesellschaft vermuten lassen. Man kann z.B., um von den bevorzugten Gegenden Melanesiens abzusehen, das Römische Reich wesentlich von einer "Politischen Ökonomie" der Gabe bestimmt sehen, wobei hier allerdings nicht sozialpolitische Motive dominierten, sondern politisches Prestige und politischer Einfluss der Eliten. Das kann nun als kleiner Hinweis darauf gemeint sein, dass, wann immer wir von einer "Gabenökonomie" sprechen, wo also viele und auch wichtige Transfers von Gütern und Dienstleistungen in der Form des Geschenks stattfinden, diese Gabenökonomie niemals den (scheinbar) isolierten Status wie eine Tauschökonomie erlangen kann. Hier gibt es ja keine vergleichbare anonyme Agentur wie den Markt, der mit "unsichtbarer Hand" die einzelnen Tauschakte reguliert. In der Gabenökonomie sehen wir die gebenden Hände immer. Was wir wem geben ist unsere "freie" Entscheidung, was nicht heißt, dass hier keine Regeln gelten. Diese wiederum sind nach Mauss von drei Prinzipien bestimmt: der Verpflichtung zum Geben, der Verpflichtung zum Annehmen und der Verpflichtung zur Gegengabe. Mauss interessiert sich besonders für Verpflichtung zur Rück- oder Gegengabe, was denn seine Analyse auch in große Nähe zum Tausch bringt.
Der Text von Eric Raymond zeigt, dass man leicht auf den Einfall kommen kann, auch die Open-Source-Bewegung in den Rahmen einer Geschenkeökonomie zu stellen. Irgendein Gerücht dürfte bis zu Raymond durchgedrungen sein, der gelegentlich die Kwakiutl und den potlatsch ausdrücklich erwähnt. Das eine ist der vermeintliche Name eines nicht existierenden Stammes der Ersten Völker von British-Columbia, das zweite der Name für ein Fest, bei dem Geschenke gegeben wurden. Obgleich der potlatch von der kanadischen Regierung 1885 verboten wurde, weil er die indigene Bevölkerung daran hindere sich dem zivilisatorischen Niveau der Weißen anzugleichen, wußte man gar nicht wirklich, was man verbot. Es handelt sich also in beiden Fällen um koloniale Phantasmen. 3
Für meinen Zweck interessanter, sind die ethnologischen Forschungen über die Geschenkeökonomie in Melanesien, die in klassischer Weise in den frühen 1920er Jahren von Bronislaw Malinowski unter dem Namen kula-Ringtausch beschrieben wurde. Als Zusammenfassung des entscheidenden Punktes sagt Malinowski: "Obwohl der Kula-Eingeborene wie jedes menschliche Wesen gerne besitzt, deshalb erwerben möchte und Verlust fürchtet, setzt das soziale System von Regeln für das Geben und Nehmen diese natürliche Erwerbssucht weitgehend außer Kraft. Dennoch schwächt dieses Regelsystem, wie es unter den Eingeborenen des Kula zu finden ist, keineswegs die natürliche Begierde nach Besitz; es zeigt im Gegenteil mit Nachdruck: Besitzen heißt Ansehen genießen, und Reichtum ist das unabdingbare Zeichen sozialer Stellung und das Merkmal des persönlichen Wertes. Der entscheidende Punkt ist hierbei jedoch, daß bei ihnen Besitzen auch Geben bedeutet - und darin unterscheiden sich die Eingeborenen von uns beträchtlich. Vom Besitzer einer Sache wird ganz selbstverständlich erwartet, daß er sie mit anderen teilt, weitergibt, ihr Treuhänder und Verwalter ist. Je höher der Rang, desto größer wird diese Verpflichtung. Von einem Häuptling wird ganz natürlich erwartet, daß er jeden Fremden, Besucher, sogar den Nichtstuer von einem anderen Ende des Dorfes mit Lebensmitteln versorgt." 4
Ich möchte sie weiter nicht mit einer Beschreibung dieses doch recht komplexen Systems behelligen, sondern nur eine Entdeckung aufgreifen, die Annette Weiner bei ihren Feldforschungen in Melanesien gemacht hat und die sie unter die griffige Formel: Keeping while Giving gebracht hat. Sie beschreibt den Kula-Ringtausch als Strategie-Spiel, bei dem die Sieger Prestige erwerben, d.h. dafür sorgen können, daß ihr Name in aller Munde ist. Aber sie führt ein Element ein, daß ergänzend zur gebenden Großzügigkeit ein Behalten erfordert.
Im Kern handelt es sich hierbei um die Existenz sog. "heiliger Güter", die weder gegeben noch getauscht werden dürfen und die gleichsam die Bedingung dieser Operationen ausmachen. Dieser Folgerungen schließt sich auch Maurice Godelier an und erweitert sie gleichzeitig. "Die Formel des Sozialen ist also nicht "Keeping-while-Giving", sondern "Keeping-for-Giving-and-Giving-for-Keeping". Behalten, um zu geben (um geben zu können), geben, um zu behalten (um behalten zu können)." 5
Sein Beispiel sind Kronjuwelen, also Dinge, die die vermeintliche Identität einer nationalen Gemeinschaft verkörpern. Abgesehen davon, dass eine solche Konstruktion auf ein bißchen wackeligen Füßen steht, möchte ich sie gleichsam noch travestieren und auf das heiligste Gut der westlichen Zivilisation zu sprechen kommen, das freilich kein materielles Ding, sondern eine Rechtskonstruktion ist: das Eigentum, genauer das private Sondereigentum. Roman Büttner hat der Einleitung der Abteilung "Gesellschaft" des Open Source Jahrbuches 2004 den Art. 17 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 vorangestellt, wo das Eigentum als ein 'unverletztliches und geheiligtes Recht' festgeschrieben wird, das niemandem genommen werden kann. Wie man nun schon lange weiß, ist diese Deklaration im dauernden Widerspruch zu den Fakten, denn in einer kapitalistischen Marktwirtschaft wird andauernd 'Eigentum genommen'. Um noch einmal auf Eric Raymond zu sprechen zu kommen: neben seiner kurzen Erwähnung der Geschenkeökonomie hat er ebenso kurz auf John Locke Bezug genommen und zwar auf dessen Grundeigentumskonstruktion. Bekanntlich führt Locke in naturrechtlicher Manier vor, dass nur das Eigentum rechtens ist, das durch Arbeit erworben wurde und das auch den eigenen Bedarf nicht übersteigt. Nahrungsmittel sammeln und sie verderben lassen, weil die Menge nicht verzehrt werden kann, ist nach Locke Verletzung der Rechte anderer, weil Eigentum seinem Begriff nach ausschließend ist. Es gibt aber ein Gut, das nach Locke unbeschränkt aufgesammelt werden kann, weil es nicht verdirbt, und das ist Geld. Damit ist die limitierende Wirkung des unmittelbaren Bedarfs gesprengt. Seither also, nämlich seit 1695, stehen sich Arbeit und Geld als die zwei wesentlichen Eigentumsformen gegenüber. Sie verweisen, so möchte ich als These des folgenden formulieren, auf zwei verschiedene Sphären des Ökonomischen, die dennoch aneinandergeheftet sind.
Eine alte Geschichte
Aufgerufen ist ein alter Konflikt, d.h. ein Konflikt, der genau so alt ist wie die Industrialisierung, die nicht nur von wagemutigen Ingenieur-Entrepreneurs geformt wurde, sondern in der Anfangszeit, insbesondere auf dem europäischen Kontinent, auch eine Angelegenheit intellektueller Institutionen war. Universitäten und Akademien haben sich im 18. Jahrhundert verstärkt um das handwerkliche Wissen bemüht, es 'veröffentlicht', d.h. aus einem dunklen, oft nur mündlich überlieferten Arkanwissen in das Licht der Wissenschaft gehoben. Mit dieser 'Veröffentlichung', die im Fall der Grand Encyclopédie auch ein riesiges Publikationsgeschäft war, ging auch der Versuch der Systematisierung einher. Wissenschaftliches Wissen muß sich ordnen können und es wird auch in öffentlicher Diskussion immer neu geordnet. Aber trotz des Einsatzes von Wissenschaft, blieb die industriell-technische Entwicklung des Kontinents hinter der britischen zurück, was eine fortgesetzte Reisetätigkeit von Ingenieuren zur Folge hatte. Reisten die Künstler nach Italien, so die Techniker nach Großbritannien. Erklärtes Reiseziel war die Ausspionierung maschineller Techniken, was die Gegenreaktion hervorrief, die Maschinen abzudecken, um ihre innere Anordnung vor den gierigen Blicken zu verbergen. Zeichnen war sowieso verboten. Seither hat die Maschine ein mehr oder weniger glattes Äußeres und ein vielfältig gekerbtes Inneres. Das hängt damit zusammen, daß eine Maschine nicht nur ein technisches Ding ist, sondern ökonomische Funktionen erfüllt und somit auf das Eigentum referiert. Wäre die industrielle Technik auf irgendeine Art der Form der Öffentlichkeit von Wissen gefolgt, d.h. hätte sie vornherein sich nicht in ökonomische Fesseln legen lassen, dann, zumindest glaubten das viele rebellische Ingenieure, wäre ein noch größerer Fortschritt das Resultat gewesen, der noch dazu allen Menschen und nicht nur wenigen zugute gekommen wäre. Wie bekannt, argumentierten die Vertreter der industriellen Ökonomie gerade umgekehrt, denn sie sahen in der Konkurrenz der Eigentümer, die sich auf dem Kampfplatz des Marktes ihre Gefechte um mehr Profit liefern, den wahren Garanten auch und gerade des technischen Fortschritts. Es ist vielleicht kein Wunder, daß genau jene Ingenieure, die von öffentlichen Institutionen wissenschaftlich ausgebildet worden waren, wie z.B. der Ecole Polytechnique, sozialistischen Neigungen frönten, während die selfmade Ingenieure englischer Prägung davon nichts wissen wollten.
Mit der Industrialisierung und der sie bedingenden großen Maschinerie wurden dem Handwerk die Werkzeuge aus der Hand genommen. Die Folge war eine Deklassierung des Wissens und somit eine Enteignung der kleinen Warenbesitzer. Lohnarbeit heißt von den Quellen abgeschnitten zu sein, die ein autonomes Arbeiten erlauben. Nicht zufällig wird hier die Form von Disziplin eingeführt, die zunächst im Bereich des Militärischen Erfolg hatte. In beiden Fällen geht nun darum, einem Befehl zu gehorchen. Im Fall der industriellen Produktion ist das der Befehl des Konstrukteurs, die Mittel der Übermittlung sind (Werkstatt)-Zeichnungen. Die Reduktion auf einen disziplinierten Körper, dem gerade so viel Geist zugestanden wird, um die Anweisungen verstehen zu können, ging ja nicht ohne massive Kämpfe ab. Nicht nur die Landbevölkerung wurde enteignet, sondern auch das Handwerk und im Grunde alle Facharbeit. In diesem Entwertungsprozeß von Wissen setzt sich nicht nur eine Zurichtung von Humankapital, sondern auch die Hoffnung durch, alles produktionsrelevante Wissen auf die Ebene der Planbarkeit zu bringen. Das geht nur mittels der Industrialisierung der Wissensproduktion selbst. Das Ingenieurwesen ist Ausdruck davon: der Ingenieur arbeitet unentwegt an der Entwertung des von ihm erworbenen Wissens. Der Antrieb dieser Entwertung liegt allerdings nicht in dem simplen Prozeß der beständigen 'Verbesserung' und 'Revolutionierung' des technischen Wissens, sondern in seiner ökonomischen Entwertung auf Grund des dauernden Dranges nach Verwertung des Kapitals. Dieses kann sich nicht mit bestimmten Lösungen zufriedengeben, aber es kann sich auch nicht mit der Regellosigkeit der Wissensproduktion abfinden.
Die neue Version der alten Geschichte 6
Die Software-Krise ist so alt wie die Software selbst. Klagen darüber, dass Software nicht zeitgerecht, nicht ohne Budgetüberschreitung, in akzeptabler Qualität und Verfügbarkeit produziert wird, gibt es seit langem. Nach Ensmenger und Aspray ist die Software-Krise eine Krise der Programmier-Arbeit. Mit anderen Worten und in obiger Perspektive, diese Arbeit hat ein gegenüber dem Kapital widerspenstiges Element an sich. Sie ist nicht so ohne weiteres von der spezifischen Qualität der Arbeitenden zu lösen, womit diesen eine relative Position der Stärke zukommt. Es ist, wie wenn im industriellen Produktionsprozeß der Werkstätte, genauer: bestimmten Handwerker-Künstlern, entscheidendes Gewicht zufiele.
Wie immer, so spielt auch hier Ideologie mit, d.h. die Perspektive der Sprecherposition. Da in der entsprechenden Literatur der Standpunkt der Unternehmer und des ihm verpflichteten Managements dominiert, weiß man wenig über die tatsächlichen Arbeitsprozesse und über die Erfahrungen der Software-Entwickler 7. Das hat Philip Kraft schon 1977 festgestellt, wonach die meiste Literatur zu diesem Thema "was not concerned with trying to understand who and what programmers were; it was concerned instead with developing techniques to control them. ... managerial wisdom with respect to programmers constituted the bulk of the available material about them, ..." 8
Was sich scheinbar leichter beschreiben ließ, waren die gewünschten Qualifikationen und die Menge der erforderlichen Arbeitskräfte, die darüber verfügen. Schon 1962 warnte man vor einem drohenden Mangel an entsprechend ausgebildetem Personal. Bis dahin wurde allgemein mathematisches Wissen als wesentliche Komponente des Programmierens angesehen. Wie schon in der Ingenieurausbildung des 19. Jahrhunderts erlangten daher akademische Institutionen ein Ausbildungsübergewicht. Große militärische Projekte der US-amerikanischen Regierung, v.a. das SAGE (Semi-Automatic Ground Environment) Luftverteidigungssystem 9, zogen den Hauptbestand der Arbeitskräfte an sich. Im Rahmen solcher Projekte gingen die beteiligten Firmen, wie SDC (System Developing Corporation) oder IBM, dazu über, die Arbeitskräfte selbst auszubilden. Als der Markt für kommerzielle Rechner in den 1960er Jahren expandierte, stieg der Bedarf an erfahrenen Programmierern rasant. Das trieb die Löhne in die Höhe. Die Programmierer zählten zu den wahrscheinlich am besten bezahlten technischen Berufen.
Es stellte sich rasch heraus, dass bestimmte Programmierer wesentlich effektiver arbeiteten als andere. Eine frühe IBM-Studie schätzte einen erfahrenen Programmierer als zehn mal effizienter ein als einen mehr durchschnittlichen Kollegen. Die fundamentale Frage der Firmen lautete also nicht, "wo kann ich einen Programmierer finden?", sondern "wo kann ich einen herausragenden Programmierer finden?" Das wiederum führte zur Frage, was genau einen herausragenden Programmierer auszeichnet. Die einfache Antwort, dass ein guter Mathematiker auch ein guter Programmierer sein würde, stellte sich als nicht generell richtig heraus 10. Die universitären Computerausbildungsprogramme entfernten sich mehr und mehr von dem steigenden kommerziellen Bedarf. Wie der Autor einer 1959 veröffentlichten Studie Business Experience with Electronic Computing feststellte, neigten die mathematisch ausgebildeten Programmierer dazu, die komplexen Probleme des Geschäftslebens zu unterschätzen und viele ihrer Lösungen waren unzulässige Vereinfachungen.
Die meisten der universitären Computer-Zentren waren in den Ingenieur-Abteilungen situiert und entsprechend mehr maschinenorientiert oder sie funktionierten als Service-Büros für traditionelle akademische Abteilungen. Diese Service-Abteilungen orientierten sich allgemein an wissenschaftlichen Anwendungen, üblicherweise mit Verwendung von Programmiersprachen wie FORTRAN. Die Spannung zwischen den theoretisch orientierten akademischen Computerspezialisten und den praktischen Erfordernissen der Industrie verschlimmerte den verspürten Mangel an erfahrenen Business-Programmierern.
In den 1960er Jahren entstanden private Schulen, die allerdings als profitorientierte Unternehmen mehr an Quantität als an Qualität interessiert waren. Erneut entstand die Frage nach den besonderen Qualitäten der Programmierarbeit: ist sie eine angeborene Fähigkeit oder kann sie erworben werden? In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren war es nicht ungewöhnlich, die Tätigkeit der Programmierer mehr als Kunst denn als Wissenschaft zu beschreiben. Es ist klar, dass kapitalistische Unternehmen an der Technifizierung dieses für sie wichtigen Wissens interessiert waren. Was sie wollten, war eine Art Standard-Test. Industrie-Psychologen entwickelten 1955 den IBM Programmer Aptitude Test (PAT), der für viele Jahre de facto Industriestandard war. Es handelte sich dabei jedoch um eine recht primitive Filter-Methode. Getestet wurden Fähigkeiten und Charakteristiken die für Angestellten-Arbeit typisch sind: Fähigkeit des logischen Denkens, unter Druck zu arbeiten, mit Menschen auszukommen, gutes Gedächtnis, den Wunsch ein Problem zum Abschluß zu bringen, Aufmerksamkeit für Details. Das einzig überraschende Ergebnis war, dass gute mathematische Kenntnisse nicht in signifikanter Beziehung zur Leistung als Programmierer steht. 1996 stellte schließlich ein Projektmanager nach mehr als 20 Jahren Erfahrung fest, dass exzellente Programmierer geboren und nicht gemacht werden.
Kurz gesagt, es ließen sich keine zuverlässigen Standards für gutes Programmieren angeben. Damit entzog sich diese Arbeit in gewisser Weise aller Kontrolle, was als Problem fehlender Disziplin wahrgenommen wurde. So sprach Herb Grosch 1966 von den Programmierern als einer "Cosa Nostra". Umgekehrt hatten die fehlenden Standards auch den Effekt, dass sich beliebig ausgebildete Personen zum Computer-Experten erklären konnten. Wie auch immer, die Softwarespezialisten gewannen nie effektive Kontrolle über ihren eigenen Berufsstand. Sowohl Ausbildung wie Arbeitserfahrung differierten dramatisch von Individuum zu Individuum und von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz.
In den 1950er Jahren waren viele Programmierer Migranten von anderen mehr traditionellen wissenschaftlichen oder Ingenieursdisziplinen. Der Charakter der Programmierarbeit änderte sich jedoch und wurde spezialisierter und unterschiedlicher. Eine Hierarchie entstand, die breiter ausgebildeten "Systemanalytiker" wollten sich von den technisch eingeschränkteren Kodierern und Lochkartenoperatoren unterscheiden. Die Programmierer saßen irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Systemanalyse wurde als abstrakte Form des Problemlösens beschrieben und weniger als Programmieren und war dementsprechend von größerer Anwendungsbreite. Die Nähe zum Operations Research machte sie auch dem Management vertrauter.
Erfahrene Software-Entwickler waren vielen Verwertungszwängen ihrer Arbeitskraft enthoben, da ihnen der Arbeitsmarkt viele Möglichkeiten bot. Damit spielte die Qualität der Arbeit eine relativ große Rolle und die Entlohnung eine entsprechend nebensächliche. Eine Studie über Berufszufriedenheit von 1971 zeigte, daß die Mehrzahl der Programmierer die psychologischen Vorteile ihrer Arbeit - Selbstentwicklung, Anerkennung, Verantwortlichkeit - mehr schätzten als die Entlohnung. Dagegen, wenig verwunderlich, lehnten sie eine strikte Steuerung und Kontrolle ihrer Arbeit ab.
Da die Lohnkosten der Programmierer einen sehr hohen Anteil an den Gesamtinvestitionen einer Computer-Installation in den Betrieben ausmachten, gerieten sie in ihrer beanspruchten Eigenständigkeit schnell ins Feuer der kommerziellen Kritik. Sie erwarben sich den Ruf nachlässig, unprofessionell und schwierig im Umgang zu sein. In der Zeit des Übergangs war es nur allzu natürlich, dass das Regime der "alten" Männer, die in den großen Firmen meist die Häuptlingspositionen einnahmen, aber über nahezu keine Kenntnisse dieser neuen Techniken verfügten, sich über die Arroganz und Ungeduld dieser "Künstler" beklagten.
Die empfohlenen Lösungen für die Software-Krise waren nicht sehr von denen des wissenschaftlichen Managements von Frederick W. Taylor verschieden: mittels einer "Verwissenschaftlichung" der Arbeitsvorgänge, sollten diese dem Arbeiter nicht mehr überlassen, sondern detailliert vorgeschrieben werden. Es ist bekannt, dass Taylor von den intellektuellen Fähigkeiten der Arbeiter nicht viel hielt und sie "effektiver" zu machen versuchte, indem er sie gleichsam als Maschinenteile betrachtete. Die angestrebte "Routinisierung der Arbeitsvorgänge" kann leicht als Disziplinierung verstanden werden, d.h. als Gewinnung der völligen Kontrolle über den Arbeitsprozeß durch die Unternehmer und das Management. Die NATO Konferenzen 1968 und 1969 zum Thema des Software-Engineering stellten den Versuch dar, das Programmieren traditionellen industriellen Rationalisierungsgrundsätzen zu unterwerfen. Davon erhoffte man sich eine "software industrial revolution", wobei automatisches Programmieren die Programmierer so weit wie möglich durch Maschinen ersetzen sollte 11. Dieses ist eine Art Manager-Ideal der gesteuerten Fließband-Software-Entwicklung. Die vom Verteidigungsministerium der USA geförderte Programmsprache ADA wurde z.B. als ein Mittel gefeiert, das idiosynkratische künstlerische Ethos, das so lange das Programmschreiben dominiert hatte durch ein effizienteres, kosteneffektives und ingenieurhaftes Verfahren zu ersetzen. "Canned programs" und "structured programming" waren solche Konzepte, die, nach den Worten von Philip Kraft, dem Management die Kontrolle und Steuerung der Programmier-Arbeit ermöglichen sollten. make the production of programs independent of individual programmers ... various schemes had been proposed from time to time to standardize what programmers did. ... Indeed, the principle was simple: if managers could not yet have machines which wrote programs, at least they could have programmers were eliminated altogether, their work would be made as machine-like - that is, as simple and limited and routine - as possible. Briefly, programmers using structured programming would be limited to a handful of logical procedures which they could use - no others were permitted. 12
Es ist ein wenig ironisch, daß das "software engineering", wie man diesen Prozeß auch nennen könnte, ebenfalls an der Unklarheit des eigenen Gegenstandsbereiches krankt, wie jüngst Michael S. Mahoney in den Annals of the History of Computing vorgeführt hat. 13
Der "Kreuzzug" den Richard Stallman für die freie Software führt, lässt sich somit als Versuch deuten, einen Bereich von Wissens-Arbeit der Aneignungslogik des Kapitals zu entziehen. Es handelt sich einerseits um eine "Wiedergewinnung" des Jerusalems der frei zirkulierenden Software, andererseits um ein Konzept, das den Kampf mit den Vertretern der proprietären Software sucht. Man verfällt dabei leicht einer heroischen Geschichtsbetrachtung, vor der uns Slavoj Zizek gewarnt hat, nämlich der "fetischisierten Personifikation sozialer Kämpfe: der Glaube an die Schlüsselrolle des heroischen Individuums" 14. In unserem Fall würde es sich um den Kampf des schwarzen Ritters Bill Gates gegen den weißen Ritter Richard Stallman handeln. Aber auch der schwarze Ritter verfügt über eine Vision des himmlischen Jerusalems als Bauplan einer künftigen Welt. In dieser Vision tauchen die besagten Programmier-Künstler auf, um ein bestimmtes Trugbild zu vermitteln. "Sie realisieren ... scheinbar eine Art proto-sozialistischer Utopie der Überwindung der Opposition zwischen der entfremdeten Arbeit, bei der Geld verdient wird, und dem privaten Hobby, dem man am Wochenende zum Vergnügen nachgeht." 15 Aber das sind die im Licht, die im Dunklen sieht man nicht. Es sind die vielen, die durch die Eigentumspolitik von Microsoft dazu verurteilt werden, ob sie es wollen oder nicht, durch die Bezahlung von Lizenzgebühr, am Empire von Gates mitzuwirken. Aber es geht hier weniger um die Aneignung bzw. Enteignung von Produkten, sondern vielmehr um die Erhaltung einer bestimmten Arbeitssphäre. Es handelt sich also um einen Kampf um die Bedingungen der Möglichkeit von Arbeit.
Wiederum eine alte Geschichte
Hier sind die der Produktion äußerlichen Rechtsverhältnisse seit alters her entscheidend. Sie sind das Machtmittel der Aneignung und Enteignung. Wenn auch die Rechtsverhältnisse das Privateigentum schützen, so ist es doch nicht egal, ob die "Privatleute die Arbeiter oder die Nichtarbeiter sind" 16. Besitzt der Arbeiter seine Produktionsmittel in der Form des Kleinbetriebes, dann ist er "freier Privateigentümer seiner von ihm selbst gehandhabten Arbeitsbedingungen", er ist "der Handwerker des Instruments, worauf er als Virtuose spielt" 17. Die "engen naturwüchsigen Schranken" einer solchen Produktion und Gesellschaft werden gesprengt durch die "Verwandlung der individuellen und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich konzentrierte" 18, was die Enteignung der großen Volksmasse zur Bedingung hat. Das ist die gewaltsame Vorgeschichte des Kapitals, auf deren Grundlage "die kapitalistische Produktionsweise auf eignen Füßen steht", ohne aber die weitere Vergesellschaftung zu beenden. Nun aber erlangt die Enteignung eine neue Form: "Was jetzt zu expropriieren, ist nicht länger der selbstwirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitierende Kapitalist." 19 Der Konzentrationsprozess des Kapitals, wo ein Kapitalist viele andere totschlägt, befördert neben anderem "aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse." 20 In deren Revolution wird die erste Negation des auf "eigne Arbeit gegründeten Privateigentums" durch eine zweite überboten und "diese stellt nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber das individuelle Eigentum auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel." 21
Es ist klar, dass es einen Unterschied macht, ob man die Resultate der eigenen Arbeit auf dem Markt anbieten kann und somit in einen gleichwertigen Tausch der Warenbesitzer eintritt, oder ob man seine Arbeitskraft verkauft und nicht auf dem Markt, sondern der Despotie der Fabrik unterworfen ist, wo Zwangsarbeit herrscht, weil alle Arbeit hier immer schon vom Kapital angeeignet ist. "Die Arbeiter werden der 'Disciplin' des Capitals unterworfen und in ganz veränderte Lebensverhältnisse gestellt." 22 Diese Lebensverhältnisse bestimmen sie nicht, sie kooperieren zwar, aber unter einem fremden Kommando.
Um an eine Gabenökonomie nur zu denken, muss man zunächst von kleinen Warenbesitzern ausgehen, die über die Resultate ihrer Arbeit verfügen können. Wenn sie sich entschließen, eine andere soziale Kommunikation als den monetären marktförmigen Tausch zu wählen, so steht ihnen das frei. Um die Formel von Weiner und Godelier zu variieren: behalten, nämlich die Verfügung über die eigene Arbeit, um geben zu können, nämlich die Produkte dieser Arbeit, um die Verbreiterung der eigenen Arbeitsmöglichkeit als Gegengabe wieder zu erhalten.
1 http://www.firstmonday.org/issues/issue3_10/raymond
2 Maurice Godelier sagt treffend: "Mauss träumte von einer Welt, in der die Wohlhabenden großzügig und der Staat entschlossen um die Konstruktion einer gerechteren Gesellschaft bemüht wären." Und er fügt hinzu: "Heute aber ist angesichts des Ausmaßes der sozialen Probleme und der offensichtlichen Unfähigkeit des Marktes und des Staates zu ihrer Lösung die Gabe im Begriff, wieder zu einer objektiven, gesellschaftlich notwendigen Bedingung für die Reproduktion der Gesellschaft zu werden." (Das Rätsel der Gabe. Geld, Geschenke, heilige Objekte, München 1999, S. 292f. und 294).
3 Dazu: Christopher Bracken: The Potlatch Papers. A Colonial Case History, Chicago 1997
4 Bronislaw Malinowski: Argonauten des westlichen Pazifik. Ein Bericht über Unternehmungen und Abenteuer der Eingeborenen in den Inselwelten von Melanesisch-Neuguinea. Frankfurt am Main 1984, S. 129.
5 Maurice Godelier: Das Rätsel der Gabe. Geld, Geschenke, heilige Objekte, München 1999, S. 55.
6 Für das folgende: Nathan Ensmenger, William Aspray: Software as Labor Process, in: Proceedings of the international conference on History of computing: software issues, New York: Springer 2000, pp. 139-165.
7 Eine gewisse Ausnahme macht Pascal Zachary: Der Krieg der Codes. Wie Microsoft ein neues Betriebssystem entwickelt. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Hamburg: Hoffmann und Campe 1996. Letztendlich läuft es aber doch auf eine Heroengeschichte des NT-Entwicklers Cutler hinaus.
8 Philip Kraft: Programmers and Managers. The Routinization of Computer Programming in the United States, New York, Heidelberg, Berlin 1977, S. 4.
9 Dazu Kent C. Redmond and Thomas M. Smith: From Whirlwind to MITRE. The R&D Story of the SAGE Air Defense Computer, MIT-Press 2000.
10 In den Heroengeschichten von Bill Gates und Richard Stallman werden allerdings genau ihre mathematischen Fähigkeiten hervorgehoben.
11 Marx hat ja schon bemerkt, dass wann immer die Arbeiter dem Kapital lästig werden, versucht es sie durch neue Maschinen zu ersetzen.
12 Kraft, op.cit., S. 57.
13 Michael S. Mahoney: Finding a History for Software Engineering, Annals of the History of Computing 26/1 (2004), S. 8-19. Er verweist auch auf das Software-Paradox von Blum/Stucki, wonach "programmers have done a good job of automating everyone's work but their own" (S. 15).
14 Slavoj Zizek: Die drei Gesichter des Bill Gates, in: Alexander Roesler und Bernd Stiegler (Hg.): Microsoft. Medien - Macht - Monopol, Frankfurt: Suhrkamp 2002. S. 11.
15 ebd., S. 18.
16 Karl Marx: Das Kapital. Erster Band: Der Produktionsprozeß des Kapitals. Marx Engels Werke Band 23, Berlin: Dietz 1974, S. 789
17 ebd.
18 ebd.
19 ebd., S. 790.
20 ebd., S. 791
21 ebd.
22 Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie (Manuskript 1861-1863), MEGA II/3, Berlin 1976, S. 245.